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DIE AUFSTELLUNGSARBEIT UND KATEGORIEN VON THERAPIE-ANLÄSSEN, AUTOR: THOMAS HAFER

Menschen suchen aus unterschiedlichen Gründen Psychotherapie oder Beratung. Diese Gründe lassen sich zusammenfassen in vier Kategorien. Die Grenzen sind natürlich fließend, meist hat ein Klient auch mehrere Probleme und im Laufe des Prozesses ändern sich häufig das Thema und der Fokus. Dennoch ist es sinnvoll, diese Kategorien im Blick zu behalten. Manchmal sind diesbezügliche Verwechslungen ein Grund für den Misserfolg einer Therapie oder Beratung.

1. Systemische Verstrickungen

Viele Menschen tun unbewusst Dinge im Auftrag eines Systems, insbesondere ihrer Familie. Hinter dem oberflächlich sichtbaren Problem steht oft die tiefe Liebe zu den anderen im System, vor allem zu den Eltern. Zum Beispiel kann ein Mensch eine bestimmte körperliche Krankheit entwickeln, um seinem Vater nah zu sein oder um die Mutter von einer Last zu erlösen. Diese systemischen Verstrickungen wirken unbewusst. Die Aufstellungsarbeit kann diese Zusammenhänge ans Licht bringen und lösen. Diese Kategorie von Problemen ist die große Entdeckung von Bert Hellinger. Unmittelbar im Zusammenhang damit hat er das Aufstellungsphänomen erkannt und seine methodische Nutzung entwickelt. Die Aufstellungsarbeit ist ursprünglich und wesentlich systemisch. Systemische Verstrickungen sind und bleiben ihr wichtigstes Einsatzfeld. Werden Probleme, die aus systemischer Verstrickung herrühren, verhaltens-therapeutisch als zu löschendes Symptom oder tiefenpsychologisch als Neurose gedeutet, fühlt die Seele sich missverstanden und verschließt sich. Die Liebe, die hinter dem problematischen Verhalten steht, will gesehen werden. Die Aufstellungsarbeit ermöglicht wie keine andere Therapieform, dass diese verstrickte Liebe als eigentlicher Beweggrund dem Klienten sichtbar und spürbar wird und sich wandeln kann in eine sehende und frei fließende Liebe. Aber auch Schwierigkeiten der anderen Kategorien können mit Aufstellungsarbeit Unterstützung erfahren, solange der Aufsteller mit Blick auf diese Kategorien weiß, was er tut.

2. Traumata, Wunden, Beschädigungen

Manche Menschen werden mit Erfahrungen konfrontiert, die sie kaum aushalten und verarbeiten können. Zum Beispiel Krieg oder Vertreibung oder Folter, z.B. Vergewaltigung oder sexueller Missbrauch, z.B. Behinderungen oder schwere Krankheit oder andere Schicksalsschläge. Manchmal kann die Therapie die Wunden heilen und die Traumatisierung auflösen. Oft jedoch ist das nicht möglich. Dann kann die Therapie helfen, einen Umgang damit zu finden. In der psychotherapeutischen Arbeit mit Krebskranken zum Beispiel geht es oft um Unterstützung dabei, auf eine gute Weise sterben zu können. Dann kann es für den Klienten eine Katastrophe sein, wenn er die Therapie missversteht im Sinne eines “Du kannst Dich heilen, wenn Du nur genug willst”. Bert Hellinger hat häufig gnadenlos ausgesprochen: „Du wirst sterben.“ Umgekehrt ist manchmal auch unnötige Hoffnungslosigkeit eine Katastrophe für den Klienten. Häufig weiß der Therapeut selber nicht, ob Heilung möglich ist. Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Aufstellungsarbeit bei Schwierigkeiten dieser Kategorie helfen, belastende Ereignisse vergangen sein zu lassen und Halt und Unterstützung zu finden. Allerdings sind große Achtsamkeit und spezielle Kenntnisse in der Arbeit mit Traumapatienten nötig, um eine Retrau­mati­sierung zu vermeiden.

3. Defizite in der Selbst-Entwicklung

Neuere Schulen der Tiefenpsychologie, insbesondere die Selbstpsychologie und Objektbeziehungstheorie, haben wichtige Erkenntnisse gewonnen über die Entwicklung der Selbstorganisationsfähigkeit. Der gesunde Aufbau unseres Selbst ist an bestimmte Voraussetzungen in den frühen Kindheitsjahren gebunden. Wächst ein Kind in einem Feld mit bestimmten Mängeln und Turbulenzen auf, kann es bestimmte grundlegende Fähigkeiten nicht lernen. Die sogenannten Selbstprozesse entwickeln sich mit einer bleibenden Brüchigkeit und Fragilität. Das Urvertrauen in das Leben, in andere Menschen und in die Welt, das Gefühl einer grundlegenden eigenen Identität und Stabilität sowie das grundlegende Gefühl eines eigenen Wertes sind tiefgreifend und bleibend geschwächt. Der Mensch entwickelt z.B. unbewusst narzisstische Tendenzen, sucht ständig Gelegenheiten, zu glänzen und Anerkennung zu bekommen für künstlich herbeigeredete Stärken, weil er mit seinem wirklichen Selbst und seinem wirklichen Wert nicht in Kontakt ist. In der inneren Wachstumsarbeit entdecken wir, dass in gewissem Umfang bei jedem von uns der Prozess der Entwicklung eines gesunden Selbst nicht optimal war und Wunden hinterlassen hat. Hilfe entsteht in diesem Feld nur, wenn es gelingt, die Selbstorganisation zu stärken. Würde der Therapeut versuchen, die narzisstischen Tendenzen als Symptom zu löschen, würde das im Sinne von Überich-Attacken das gesunde Selbstgefühl des Klienten eher noch weiter schwächen. Die Aufstellungsarbeit kann ausgesprochen kraftvolle Unterstützung für diesen heilsamen Prozess anbieten. Sie kann eine wunderbare Unterstützung sein, Defizite in der Selbstentwicklung aufzuarbeiten im Sinne einer inneren Wachstumsarbeit. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Leiter sich mit diesen Prozessen auskennt.

4. Gelernte Überzeugungen und Verhaltensweisen

Menschen lernen in bestimmten Situationen ihres Lebens bestimmte Muster des Denkens und Wahrnehmens und des Verhaltens. Sie lernen zum Beispiel, bestimmte Objekte zu fürchten, bestimmte Situationen zu meiden, sich klein zu machen oder auch bestimmte Erfahrungen gar nicht wahrzunehmen. Meistens sind diese Muster in der Vergangenheit einmal sinnvoll gewesen, manchmal lebensnotwendig. Heute jedoch sind sie dysfunktional, sie verursachen Einschränkungen und Leiden. Zur Bearbeitung von Schwierigkeiten dieser Kategorie eignet sich zum Beispiel die Verhaltenstherapie oder die Hypnotherapie. Es geht darum, das Symptom zu löschen. Es wäre wenig hilfreich, tiefenpsychologisch in der Vergangenheit zu arbeiten. (Umgekehrt, wenn ein Symptom eine psychodynamische Funktion hat, wäre der Versuch, es einfach zu löschen, wenig hilfreich. Er würde lediglich Widerstand oder eine Symptomverschiebung auslösen.) Auch die Aufstellungsarbeit kann helfen, alte innere Muster loszulassen und neue Entscheidungen zu treffen und vor allem umzusetzen. Allerdings ist dies sicherlich eher ein Nebenfeld der Aufstellungsarbeit.

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